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Stunt Car Racer

Schrottpresse mit Turbolader

von Tim Schürmann

Motoren heulen auf. Ein Ruck durchzieht Ihren Rennwagen. Kurz darauf schweben Sie langsam an einem Kran nach oben. Zusammen mit Ihrem Gegner schwanken Sie mehrere Meter über der Rennstrecke. Dann klinkt der Kran die Vehikel aus. Mit voll durchgetretenem Gaspedal jagen Sie über den Asphalt.
Nachdem der Rennspielspezialist Geoff Grammond bereits mit REVS eine exzellente Rennsimulation abgeliefert hatte, verlegte er im Jahre 1989 das Renngeschehen in schwindelerregende Höhen. In seinem Rennspiel der etwas anderen Art jagen zwei umgebaute Dragster über einen achterbahnähnlichen Kurs.

Schwindelanfälle

Im einundzwanzigsten Jahrhundert ist die Formel 1 abgeschafft. Die Saison des Jahres 2006 war die letzte. Ersatz bieten Stunt-Car-Rennen, zu denen nur Fahrer mit guten Beziehungen oder etwas Schmiergeld Zutritt erhalten. Auf diese Weise gelangt auch der Spieler, ein ehemaliger Formel-1-Pilot, an eine der begehrten Fahrerlizenzen.
Auf dem Weg zur Siegerkrone sind insgesamt acht Rennstrecken in vier verschiedenen Ligen zu meistern, deren Schwierigkeitsgrad von Liga zu Liga ansteigt. Wer den Karrieremodus wählt, beginnt stets in der untersten Liga. Durch gewonnene Duelle und das Erhaschen von Best-Rundenzeiten erhält man wertvolle Ranglistenpunkte. Für jeden Sieg zwei, für jede beste Rundenzeit einen. Am Ende einer Saison wird abgerechnet: Der Fahrer mit den meisten Punkten erklimmt die nächste Stufe auf der Karriereleiter und darf in der nächsthöheren Liga antreten. Wer zu wenig Punkte ergattern konnte, steigt ab. Bestzeiten und Spielstände verewigt man auf Diskette.
Was zunächst wie ein herkömmliches Rennspiel klingt, wird durch die Rennstrecken der etwas anderen Art zu einem kniffligen Geschicklichkeitsspiel: Da sie als Hochbahnen ausgelegt sind, wimmelt es auf ihnen nur so von Sprungschanzen, Steilkurven und magenumdrehenden Berg- und Talfahrten. Ein weiterer, unangenehmer Nebeneffekt ist die ständig lauernde Gefahr, von der Strecke abzukommen und viele Meter in die Tiefe zu stürzen. Ein solcher freier Fall bleibt aufgrund des Schadenmodell-Prinzips im Spiel nicht ohne Folgen. Strapaziert man das Auto zu stark, bleibt es irgendwann als nutzloses Wrack liegen. Schäden, die gar ganze Löcher in die Karosserie reißen, bleiben zudem eine ganze Saison lang erhalten.
Sobald die Entscheidung für eine Strecke gefallen ist, wechselt das Programm in die dritte Dimension. Hinter dem Cockpit des hochfrisierten Fahrzeuges stehen Sie zunächst neben der Rennstrecke. Ein Kran hievt das Vehikel schließlich in die Luft und setzt Sie mehr oder minder unsanft auf die Fahrbahn. Gleiches geschieht mit Ihrem Konkurrenten. Sobald der Startschuss fällt, spielt Ihr Bleifuß die Hauptrolle.
Im Gegensatz zu REVS ist die Bedienung in Stunt Car Racer denkbar einfach gehalten. Mit Joystickbewegungen nach links und rechts gibt man die Lenkrichtung an. Zieht man den Hebel nach vorn, gibt der Dragster Gas, reißt man ihn zurück, wird das Vehikel langsamer. Dem Feuerknopf kommt eine besondere Bedeutung zu. Mit ihm aktiviert man einen Turbo-Booster, der dem Wagen zusätzlichen Schub verleiht. Er eignet sich somit hervorragend dazu, auf langen Geraden den Gegner zu überrumpeln oder vor weiten Sprüngen genug Anlaufgeschwindigkeit aufzubauen. Leider ist der Booster nur so lange einsatzfähig, wie sein Tank ausreichend Treibstoff enthält - und der ist wie immer in solchen Fällen äßerst knapp bemessen.

Versionsbrei

Stunt Car Racer erschien zunächst für den Amiga und den Atari ST. Später folgten Umsetzungen für den C64, Sinclair Spectrum und MS-DOS. Eine grafische Augenweide sind nur die Versionen für die 16-Bitter. Dort kommt das subjektive Geschwindigkeitsgefühl am besten zur Geltung. Aber auch die C64-Variante kann sich sehen lassen. Mit Tricks gegen die dort herrschenden Limitierungen ging Geoff Crammond ziemlich virtuos um. Im Ergebnis sieht man zwar nur einfarbige Strecken, die sich aber dennoch in akzeptabler Geschwindigkeit um den Spieler aufbauen. Nur in den oberen Ligen, wo die Strecken komplexer werden, wirkt das Ruckeln unangenehm auf das Fahr- und Lenkverhalten ein. Wer das Spiel in einem Emulator betreibt, kann dort die Ausführungsgeschwindigkeit probeweise erhöhen. Hierdurch wird die Grafik flüssiger, das Spielgeschehen aber auch schneller. In VICE haben wir gute Resultate mit Werten zwischen 150 und 200 Prozent der normalen Geschwindigkeit erzielt. Bei Raten über 200 Prozent wird die Spielgeschwindigkeit so hoch, dass die Reaktionszeiten für ein korrektes Lenken nicht mehr ausreichen.
Die komplexe 3D-Grafik und die nicht gerade breiten Strecken sind wohl auch der Grund für die geringe Gegneranzahl. So tritt man grundsätzlich nur gegen einen Konkurrenten im K.o.-System an. Die C64-Umsetzung verzichtet zudem auf den speziellen Mehrspielermodus, bei dem man zwei Amiga- oder ST-Computer per Kabel verbindet. Auf dem C64 muss man damit vorlieb nehmen, dass jeder von acht möglichen Spielern nach-einander gegen einen Computergegner fährt.
Wer Geld in ein Stunt-Car-Racer-Originalpaket investiert, gelangt neben der Diskette auch in den Besitz eines schön gestalteten deutschsprachigen Handbuchs. Es führt nicht nur mit einer kleinen Geschichte stimmungsvoll in das Spiel ein, sondern enthält eine recht umfangreiche und bebilderte "Geschichte des Autorennens".
Die etwas ungewöhnliche Rennsimulation eroberte schnell das Herz vieler Spieler und Redakteure. Der "Aktuelle Softwaremarkt" (ASM) vergab 7 von 12 Punkten, Marktfährer "PowerPlay" stufte sie sogar mit 81 von 100 Punkten ein. Nach der Veröffentlichung von Stunt Car Racer widmete sich Geoff Crammond ausschließlich seiner sehr erfolgreichen Grand-Prix-Serie. Im Mai 2003 geisterte jedoch die Ankündigung eines Stunt Car Racer Pro durch die Presse. Verantwortlich für die Programmierung sollten Crammonds eigene Firma Sinergy, sowie das Team von Lost Toys sein. Kurz darauf bestätigte Geoff Crammond diese Meldungen. Als Veröffentlichungstermin wurde "irgendwann im Jahr 2004" genannt. Als primäre Spieleplattform war laut verschiedener Meldungen die PlayStation 2 anvisiert. Bislang sind jedoch keine weiteren Informationen zu dieser Fortsetzung aufgetaucht.
Aber auch ohne Stunt Car Racer Pro lohnt der Griff zur C64-Diskette oder einer anderen Ursprungsversion. Wer dennoch an einer modernen Fassung interessiert ist, sollte einen Blick auf die Seiten unter [1] riskieren. Im Jahre 2001 schufen vier Fans an der FH Wedel einen Nachbau des Spiels für Windows und Linux. Das Ergebnis stellen Sie auf ihren Seiten kostenlos zum Download bereit. Ebenfalls für Linux erschien Space Racer [2], das ganz offen als Stunt-Car-Racer-Klon beworben wird.

Infos 
[1] Homepage eines Nachbaus: http://stud.fh-wedel.de/~stuntcar/info.html
[2] Homepage von Space Racer: http://spaceracer.sourceforge.net/screenshots.html

Version 1, veröffentlicht am 20.12.2005

Copyright (C) 2005 Tim Schürmann
Dieser Artikel wird unter der GNU Free Documentation License, http://www.gnu.org/licenses/fdl.html, veröffentlicht und kann frei kopiert werden, solange die Nennung des Autors und der Internetquelle ( http://www.tim-schuermann.de ) erhalten bleibt.